Die tschechische Stadt Pilsen bietet zahlreiche Attraktionen: das Theater, die große Synagoge, die ZF Engineering und die St.-Bartholomäus-Kathedrale.
Vom Turm der Kathedrale aus hat man einen erstklassigen Blick auf den Platz der Republik mit seinen hübschen Häuserreihen. Als ich auf der Turmtreppe an der großen Glocke vorbei kam, konnte ich der Versuchung nicht widerstehen, dagegen zu klopfen. Die Glocke gab ein überraschend lautes Ploing von sich und ich wollte schon weitergehen. Plötzlich setzte sich ein Mechanismus in Gang und es begann so laut zu läuten, dass ich die ganze Nacht lang ein Klingeln in den Ohren hatte. Als ich unten wieder am Kassenhäuschen vorbeikam, schaute mich die Turmwärterin misstrauisch an, aber ich lächelte nur unschuldig und mischte mich unauffällig unter die Passanten. Warum passiert so etwas eigentlich immer nur mir?
Die größte Attraktion ist aber zweifelsfrei die Brauerei Pilsner Urquell. Ich spreche nicht von irgendeiner Bierproduktionsstätte – es geht hier um den Geburtsort des Pils, das Bethlehem der Biertrinker, das Mekka der Hopfenfreunde.
Die Tschechen waren schon immer ein aufmüpfiges Volk. Im Gegensatz zum Prager Frühling war aber der Pilsener Bieraufstand im Jahr 1838 erfolgreich. Empörte Bürger kippten damals fassweise die übel schmeckende Plörre, die die Wirte als Bier verkauften, vor das Rathaus und forderten Besserung. Dem Stadtrat war die Bedeutung des Bieres für die tschechische Seele sehr wohl bewusst und er engagierte einen bayrischen Bierbrauer. Dieser experimentierte mit hellem Malz und höherem Hopfengehalt und servierte 1842 seine goldgelbe Innovation. Das Bier nach Pilsner Brauart kam so gut an, dass das Pils in kurzer Zeit auf der ganzen Welt die Herzen der Biertrinker eroberte. Sogar die Beatles nannte man nach einer Tournee in Tschechien „die Pilsköpfe“.
So eine bedeutende Tradition wirkt sich zwangsweise auf das Stadtbild aus. Es gibt in Pilsen etwa gleich viele Kneipen wie Einwohner. Egal ob Tattoostudio oder asiatischer Imbiss – Pilsner Urquell ist immer im Angebot. Und das weit über die Stadtgrenzen von Pilsen hinaus.
Rätselhafte Skulpturen senden geheime Botschaften an die Bierliebhaber aus. Die griechischen Buchstaben Lambda, Tau und Pi bedeuten: Lebenskünstler trinken Pilsner.
Alkohol im Übermaß hat natürlich nicht nur positive Auswirkungen auf die Gesundheit (das musste mal gesagt sein, falls Minderjährige mitlesen). Deshalb wurden für den Heimweg von der Bar eigene Gehwege mit Haltepfosten angelegt. Hier können die Kinder ihre betrunkenen Väter sicher nach Hause bringen.
Trotzdem gibt es Verluste. Manche Bierleiche wird am nächsten Morgen an der Kathedrale oder im städtischen Teich gefunden.
Sogar einen eigenen Berufszweig hat die Brautradition hervorgebracht: den Tapster. Nach fünftägiger Ausbildung in Pilsen bekommt der Herrscher über den Zapfhahn eine personalisierte Lederschürze und ist in der Lage, das Pilsner Urquell in vier Varianten zu zapfen:
- Hladinka – Ein großes Bier mit einer drei Finger breiten Schaumkrone, die bis zum Glasrand reicht. Der dicke cremige Schaum bildet eine Schutzschicht und das Bier bleibt süffig
- Šnyt – Eigentlich ein kleines Bier im großen Glas mit viel Schaum. Es ist ein ideales Bier zum Abschied, wenn man das Trinken langsam beenden will und ein weiteres großes Bier zu viel wäre
- Mlíko – Auf den ersten Blick erinnert das Bier an ein Glas Milch, weil die Halbe voll mit sahnigem Bierschaum ist. Der Geschmack der Milch ist etwas süßlich und daher ist sie vor allem bei Frauen beliebt
- Čochtan – Ein Bier fast ohne Schaum für den schnellen Durst zwischendurch. Sollte möglichst auf ex getrunken werden, da es ohne den Schaum sehr schnell schal wird
Abends durfte ich mich auf Einladung eines lieben Kollegen selbst von der Pilsner Kneipenkultur überzeugen. Die Krönung des Biergenusses ist ein frisch gezapftes Tankbier. Es wird ohne Pasteurisierung oder Konservierungsstoffe gebraut und direkt im Tank von der Brauerei zur Bar geliefert. Der Tapster ist dafür verantwortlich, dass der Tank spätestens in fünf Tagen leer ist. Das ist in Pilsen kein Problem.
David, Danke für den schönen Abend!
Hm, hast du dir in Pilsen mal so ein schönes Bier-Bad genehmigt? Hatte ich in Karlsbad mal, das ist toll. Du liegst in Bier (mehr oder weniger…) und darfst dir in dieser einen Stunde so viel helles und dunkles Zapfen, wie du trinken kannst… 🙂 kann ich echt empfehlen.
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Ach du warst das auf dem Werbeplakat 😇.
Nein, habe ich nicht gemacht. Aber eine story über Karlsbad kommt bald.
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Werbe… waas?? Die sind mir noch die Gage schuldig… 🙂
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In Pils ausgezahlt
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Schön wäre es… 😉
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tolle Geschichte, war immer nett in Pilsen.
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Ja, immer ein Genuss 😁
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Ich, ein Pilsner Urquell Bier Trinker, habe deinen Beitrag sehr genossen! Falls du mal in meine Geburtsstadt Prag fahren solltest und auf der Suche nach einem guten Bierlokal bist, dann können dir vielleicht meine beiden Berichte dabei helfen: https://zwischenstopp.net/mein-prag/ und https://zwischenstopp.net/die-bierrunde-prag/
Prost!
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Deine Berichte sind hilfreich und gut, danke fürs verlinken 😀. Leider sind wir schon längst wieder zurück aus Prag – meine beiden Berichte darüber folgen in den nächsten Wochen. Wenn ich das nur vorher gelesen hätte…
Ich trinke übrigens kaum Bier, aber ein Pilsner kann ich nicht ausschlagen. Zumal ich mit einem Local Hero in Plsen unterwegs war.
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Schaaaade. Dann halt das nächste Mal. Das Bier wird dort sicher noch lange fließen…
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Als Biertrinkerin muss ich dann wohl unbedingt auch mal nach Pilsen. Dein Bericht hat mich auf vielfältige Weise inspiriert 😎. Danke!
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Gern geschehen. Ist auch wirklich empfehlenswert
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Das flüssige Brot. Immer wieder erwähnenswert. Apropos: auf der Biertrinker-Bestentabelle, wo waren da die Belgier? Dass die Tschechen, insofern an einen entfernten westlichen Nachbarn, das Westfrankenreich, Frankreich eben, erinnernd, immer wieder rasch zu heftigen Protesten neigen kennt man ja – vielleicht ging es bei den diversen Prager Fensterstürzen in Wirklichkeit um Klarheit in Getränkefragen? Um eine ins Flüssige übertragene Reinheit? Eine Wahrheit tief unten am Boden des Sudkessels?
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Die Belgier machen tolle Biere, aber sie sind trotzdem nicht unter den Top Ten. Wenn die Statistik stimmt. Erstaunlich.
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