Albanien

Eine Reise durch das Land der Bunker, die Stadt der tausend Fenster und die Stadt aus Stein.

Nachdem unser erster Tag in Albanien im Desaster geendet hatte, fuhren wir ins Landesinnere. Auf einem Campingplatz wurden wir mit einem Obstteller herzlich empfangen. Der Sohn der Betreiberin ließ es sich nicht nehmen, meinen platten Fahrradreifen am Samstagabend zur Reparatur zu bringen. Man stelle sich so einen Service mal in Deutschland vor. Dafür reicht nicht mal meine Fantasie. Dann gingen wir in die Stadt. Fenster gucken.

Berat, die Stadt der tausend Fenster

Berat wurde bei einem gewaltigen Erdbeben fast vollständig zerstört. Beim Wiederaufbau hatte offensichtlich ein Fensterbauer das Geschäft seines Lebens gemacht, was der Stadt den Beinamen „Stadt der tausend Fenster“ und den Status als UNESCO-Weltkulturerbe einbrachte. Schon beim Kreisverkehr am Stadteingang wird klar, worauf man hier stolz ist.

Installation aus fenstern im Kreusverkehr von Berat
Fensterbau
Berat, Stadt der tausend Fenster
Die Stadt der tausend Fenster

Ich habe nachgezählt – Es sind nur 999,5 Fenster, wenn man es genau nimmt.

Altes Haus in Berat
Das rechte Fenster zählt nur halb

Außer Fenstern hat Berat auch sonst Einiges zu bieten: die obligatorische Burg, orthodoxe Kirchen, osmanische Moscheen und die Karawanserei eines Paschas.

Karawanserei Halveti Tekke
Halveti Tekke – Karawanserei, Moschee und Palast des Paschas

Von der Stadt der Fenster ging es weiter in die Stadt aus Stein. Der Übergang war fließend, denn Steine und Fenster gab es in beiden Orten.

Gjirokastra, die Stadt aus Stein

Gjirokastra ist ein idyllischer Ort in einem Tal in den albanischen Bergen. Auf den ersten Blick verliebt sich der unbedarfte Tourist in die friedlich an den Berghang geschmiegten Steinhäuser und die engen Gässchen. Außer man hat seinem Navi vertraut und landet in einer dieser Gassen, die immer steiler werden und schließlich in einer Treppe enden.

Steiniger Weg
Gjirokastra
Gjirokastra im Abendlicht
Haus mit Steindach vor Bergkette im Abendlicht in Gjirokastra
Die Stadt aus Stein

Aber die SinnlosReisenden schauen gern auch mal hinter die Kulissen. Und da fallen zunächst einmal die eigenartigen Verteidigungsanlagen auf der Burg über der Stadt auf. In einer klassischen Burg erwartet man Armbrüste, Hellebarden oder Katapulte als Verteidigungswaffen. In dieser Festung wimmelt es von Panzern und schwerer Artillerie.

Um das zu verstehen, muss man etwas in der jüngeren Geschichte Albaniens graben.

Das Land der Bunker

In Gjirokastra wurde im Jahr 1908 ein gewisser Enver Hoxva geboren. Er litt schon früh unter einem ausgeprägten Verfolgungswahn. Überall witterte der junge Mann Verrat und Intrigen und alle Menschen in seiner Umgebung schienen ihm dauernd nach dem Leben zu trachten. Statt sich in psychiatrische Behandlung zu begeben, wählte er einen passenden Beruf: er wurde Diktator von Albanien. Seine Paranoia wurde als kommunistischer Staatschef noch heftiger und er baute einen Bunker. Nur zur Sicherheit.

Bunker in Gjirokastra
Bunker in Gjirokastra

Der Westen war Hoxva zu kapitalistisch, der Kommunismus in der Sowjetunion und in China war ihm zu lasch und dem blockfreien Nachbarn Jugoslawien unterstellte er Annektionsgelüste. Also brach er alle diplomatischen Beziehungen zu anderen Ländern ab. Er isolierte das kleine Albanien systematisch, unterband Einreisen für Ausländer und Ausreisen für Inländer und verbot jegliche Art von Religion.

Seine Paranoia hielt Hoxva nicht davon ab, seine Familie in Paris von den besten Ärzten behandeln zu lassen, denn Zuhause konnte man ja nicht mal dem eigenen Hausarzt trauen. Nach der Rückkehr von seinen Auslandsreisen erzählte er seiner Bevölkerung die übelsten Schauergeschichten. Albanien sei das einzige Land der Welt, in dem Fortschritt und Wohlstand gedeihen. Alle anderen Länder da draußen würden im Chaos versinken und würden Albanien mit in den Abgrund ziehen, wenn man sich nicht konsequent abschotte. Und die neidischen Nachbarstaaten wollten sich gewaltsam Albaniens Reichtum einverleiben.

Deshalb ließ der Diktator noch einen zweiten Bunker bauen, denn doppelt hält besser. Und dann noch einen. Am Ende standen rund 200.000 Bunker verteilt über das winzige Land. Das Konzept war einfach und logisch: für jede vierköpfige Familie muss im Fall einer Invasion ein Bunker bereit stehen.

Dann ging der Diktator auf Einkaufstour und besorgte sich Panzer, Artilleriegeschütze und sowjetische U-Boote, für die er am Mittelmeer einen Unterwasserbunker bauen ließ.

Bunker für U-Boote
U-Boot-Bunker an der Adria

Strategisch besonders wichtige Ziele wurden von mehreren Bunkern bewacht.

Zwei Bunker vor einem Melonenfeld
Zwei Bunker verteidigen ein Honigmelonenfeld gegen den kapitalistischen Klassenfeind

Und Hoxvas Strategie ging bis zu seinem Tod auf, denn kein Land der Welt wagte es, Albanien anzugreifen, weder die mächtigen Amerikaner, noch die skrupellosen Sowjets und auch nicht die bösen Nachbarn. Allerdings konnte er nicht verhindern, dass einzelne Abweichler unzufrieden wurden und das Land verließen. Aber das waren wie gesagt nur Einzelfälle.

Ein paar Unzufriedene gibt es immer – Flucht nach Italien

Als die Diktatur schließlich 1991 zusammenbrach und die Grenzen geöffnet wurden, staunten die Albaner nicht schlecht. So übel ging es den Menschen im Ausland gar nicht. Dort hatte man den Beton nicht für Bunker, sondern für Schulen, Bibliotheken oder Swimmingpools verwendet.

Albanien hatte sich zum Armenhaus Europas entwickelt. Inzwischen unterstützt die EU mit Hilfsgeldern zum Ausbau der Infrastruktur. Man erkennt diese Projekte an den Fahrradständern und den genormten Mülleimern. Nur schade, dass Albaner nicht an der Küste entlang Fahrrad fahren.

Rastplatz am Wanderweg vor der adriatischen Küste in Albanien
Rastplatz sponsored by EU
Mülleimer, überquellend
Es reicht nicht, Mülleimer aufzustellen. Man muss sie auch leeren!

So, nach diesem Ausflug in die Geschichte Albaniens sind wir bereit für eine Reise durch die Berge Albaniens. Dazu demnächst mehr auf diesem Kanal.

Autor: sinnlosreisen

Skurille Reiseerlebnisse zum Lachen

26 Kommentare zu „Albanien“

  1. Danke für die Verlinkung und für die Erinnerung an ein fantastisches Land, in das ich schon lange mal wieder reisen wollte!

    Aus Gjirokastra kommt nicht nur der Diktator, sondern auch Ismail Kadare, wahrscheinlich der bekannteste Schriftsteller aus Albanien. Nach Homer, natürlich. Dass jener eigentlich Albaner war, habe ich aus einem der Bücher von Ismail Kadare gelernt („The File on H.“, soweit ich weiß, noch nicht auf Deutsch übersetzt).

    Ebenfalls von ihm („Chronik in Stein“) habe ich gelernt, dass Gjirokastra im Zweiten Weltkrieg zuerst von Italien und dann von Nazi-Deutschland besetzt war. Das erklärt vielleicht auch die Panzer und die Artillerie in der Burg.

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  2. Vor nicht all zu langer Zeit wäre es albern gewesen, nach Albanien reisen zu wollen. Was sich nicht alles ändert… Doch werden die Skipetaren immer noch von Skopje aus regiert wie ich denke. Und dann entstehen solche Unstimmigkeiten wie abgebildet: Skopje erklärt sich, ganz modern, für so einen Müll aus der EU nicht zuständig und die zuständige EU – Behörde vergaß ganz, einen Mülllaster beizusteuern. Wie soll also der in EU-Verantwortung fallende Mülleimer geleert werden?
    Wie gesagt, kein albanisches Problem. Ob Ungarn, Italien – dort mit wuterfüllten Regierungskommentaren verziert – oder auch hierzulande bietet sich dasselbe Bild. Nicht nur in Sachen Mülleimer.

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      1. Ach ja, stimmt…. man sollte doch erst im Atlas nachsehen. Was nichts an den Mülleimern (international) verändert. Wie ist das eigentlich, hat das mit der rachen Neustaatengründung langsam ein Ende? Was nichts mit Albanien zu tun hat, das gibt’s schon länger.

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  3. Na das war ja mal ein interessanter Einblick! Ich muss sagen, dass ich über die Geschichte Albaniens noch so gut wie nichts weiß, insofern danke für die kleine Albanien-Kunde 😉 Und wer weiß, vielleicht finden die Leute ja das mit den vielen Bunkern inzwischen wieder… beruhigend?

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        1. Ich habe es selbst noch nicht gelesen, aber von den Interviews mit Lea Ypi, die ich gehört habe, glaube ich, dass ihr Buch „Frei“ über eine Kindheit und Jugend in Albanien auch ganz interessant sein könnte.
          (Auf Englisch ist schon die günstige Taschenbuchausgabe erschienen.)

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  4. Dieses Fenster-Kaff gefällt mir! Da haste immer den Durchblick, unabhängig von deinen geistigen Fähigkeiten. Auf den Anblick der zahlreichen Bunker könnte ich da allerdings verzichten. Aber die sind ja wohl auf etwas großzügigerer Fläche verteilt. Ein paar schöne Altstädtchen scheinen sie ja auch zu haben in Albanien. Ich muss gestehen, dass dieses Land es bisher noch nicht in meinen Reisefokus geschafft hat. Aber vielleicht ändert sich das ja noch, wenn du weiter von eurer Reise berichtet. Ich warte gespannt auf die Fortsetzung!

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    1. Wir hatten vor der Reise auch keinen Bezug zu Albanien und wurden erst in Kroatien von rückreisenden Österreichern motiviert. Ist aber tatsächlich lohnend. Da ist vieles noch etwas provisorisch, aber das macht gerade das Besondere aus. Und total nette Menschen.

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